Man kann sich, bei dem schlechten Ruf Stirners, tatsächlich gut vorstellen, daß Nietzsche mit ihm nicht in einem Atemzug genannt sein wollte. - Rüdiger Safranski -
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Zur Einführung / Teil II
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Max Stirner – Ein Exzentriker in der abendländischen Philosophie |
Eine wissenschaftliche Arbeit über Max Stirner? Wozu das? Über einen »rigorosen Monomanen« (Jürgen Habermas), über einen »verkommenen Studiker« (Carl Schmitt), der wie Bernd A. Laska wehklagend feststellt »nicht in das Pantheon der Kant und Hegel, Marx und Nietzsche« (Laska DD 120)* gehört, sondern eher als ein »Paraphilosoph« zu bezeichnen sei, weil Stirner immer zu einer Randfigur und einem »Paria« verurteilt wurde. Es
bleibt nicht nur bei Nietzsche, sondern eine Reihe so genannter großer
Philosophen genieren sich, mit dem Namen Max Stirner in Verbindung
gebracht zu werden. Stirner hat in der Geschichte der Philosophie ohne
Zweifel einen besonders schlechten Ruf. Meist wird er als Anarchist,
Nihilist und Solipsist diffamiert und als solcher für gefährlich erklärt.
In den Vorlesungsverzeichnissen der Universitäten begegnet man dem
Namen Max Stirner äußerst selten. Für philosophische und
wissenschaftliche Lexika gilt er als Begründer eines extremen
Individualismus oder Individualanarchismus. In Philosophiegeschichten wird
er kaum genannt und wenn man ihn doch erwähnt - aus welchem Grund auch
immer -, distanziert man sich schnell mit der Bemerkung, er gehöre eben
in die Schule der Junghegelianer, die für die Gegenwartsphilosophie
unwichtig sei. Philosophieprofessoren der zahlreichen Universitäten
Deutschlands zeigen sich verärgert, wenn ein Student es wagt, den Namen
Stirner mit Heidegger oder Nietzsche in Verbindung zu bringen; es wird ihm
geraten, die Beschäftigung mit dieser Randfigur zu unterlassen. Stirner
sei ein Kuriosum, mit dessen Werk das Philosophieren nicht möglich sei. Oder
er wird ohne jeglichen Grund schlicht abgelehnt. Stirners
gesamter philosophischer Impetus führt seit der Entstehung seines Buches
»Der Einzige und sein Eigentum« [3]
(EE) zu Missdeutungen, Vorurteilen, unüberlegten und schnellen Urteilen,
die in der Geschichte der Philosophie keine Seltenheit sind. Seine
philosophischen Kernaussagen wie »Ich hab’ mein’ Sach’ auf Nichts
gestellt«, »Ich bin einzig« oder »Mir geht’s nichts über Mich«
bestärken diese Missdeutungen und sorgen für seine Stellung als »Paria« in
der Philosophie. Es ist also nicht verwunderlich, dass Stirner zu einem
Apostel des vulgären Egoismus oder des individualistischen Anarchismus fehlgedeutet wurde; zu einem Kleinbürger, dessen Ideologie Karl Marx »mit
Kopf und Fuß widerlegte« oder zu einem Vorläufer Nietzsches, der das
geistige Dynamit von Stirner übernommen, aber ihn namentlich nie erwähnt
hat. »Was
will der Fall Stirner?« fragt Karen Swassjan provokativ, und er
antwortet: »Im Jahre 1844, dreizehn Jahre nach Hegels Tod, schickte es
sich durchaus, einen Schlussstrich unter die abendländische Philosophie
zu ziehen. Man mag den Schlussstrichzieher Stirner traktieren, wie einem
beliebt, man ist dennoch problemblind, sofern einem dabei in seiner
Lynchgesinnung entgeht, dass die kurzerhand diagnostizierte
‚Psychopathie’ oder ‚Monomanie’ (oder wie sie auch immer heißt)
nicht ohne weiteres dem Privatmann Stirner anzulasten sei, sondern –
wenn schon! – dem seinerzeitigen Stand der Philosophie. [...] Stirner
(von seinem arroganten Nachkommen so genannte) ‚schwere
Psychopathie’ lässt sich notabene nicht psychologisch, noch
weiniger psychiatrisch, sondern restlos philosophisch präsentieren.«
[4] Das Projekt Max Stirner wird nicht auf die Vorurteile und deren Gründe und Hintergründe eingehen, dies entspricht nicht dem Ziel des Projekts. Im Bezug auf diese Vorurteile und die Verkennung der Stirnerschen Philosophie bemerkte einmal der Stirnerkenner Gerhard Lehmann (1900-1987), dass die bisherige Stirner-Literatur philosophisch ziemlich unbrauchbar und überflüssig sei, da sie Stirners Philosophie nicht erfasst hat. Das
Projekt
Max Stirner wird sich auf die Philosophie Max Stirners
konzentrieren, ohne sich auf ein bestimmtes Themengebiet einschränken zu
müssen. Neben Stirners Hauptwerk Der
Einzige und sein Eigentum
werden auch seine Kleinere
Schriften
angemessen studiert; die Vielfältigkeit seiner Themen sind geradezu eine
Verlockung zu einer genauen Untersuchung seiner Philosophie. Dabei wird
das
Projekt
Max Stirner
andere Philosophen und Philosophien heranziehen, damit
der Disput nicht in die Einseitigkeit abgleitet und damit das behandelte
Thema eine fruchtbare Diskussion findet.
Anmerkungen
zum Stirners Sprachstil
Max
Stirners Denk- und Schreibstil zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht in
einem System passt. Stirner weigert sich überhaupt, »nach dem Schnürchen
zu gehen« (EE 35) und bemüht sich kaum um schulphilosophische Probleme.
Stirner distanziert sich eindeutig von diesem Vorgehen. Er denkt und
schreibt nicht im standard-philosophischen Denken. Er schreibt eher
ungeordnet, als streng systematisch. »Dies jedoch nicht aus Zufall oder
infolge eines intellektuellen ‚Betriebsunfalls’.« [5]
Einem radikalen Sprachkritiker, »der sich gegen den totalitären, alles
Einzelne ‚aufhebenden’ Universalismus vehement zur Wehr setzt und
deshalb auch das System für verderblich hält, wird zuletzt das
Systematische schlechthin suspekt.« [6]
Anstatt disziplinierter Systematik betreibt Stirner deshalb eine
philosophische Ausschweifung. Nicht unbegründet sagte Rudolf Hirsch,
Stirners Hauptwerk sei ein »System ohne Systemlosigkeit«.[7]
Diese Ausschweifungen erinnern die Leser nicht selten an manche Prosastücke
oder surrealistische und situationistische Texte, bei denen die Spur einer Vernunft
festzustellen, kaum möglich ist. Es ist kein Zufall, dass manche
Dadaisten und Surrealisten unter Stirners Einfluss zu künstlerischen
Ausschweifungen gelangen konnten. Stirners Stil könnte als ein
gescheitertes Prosastück mit philosophischem Inhalt definiert werden.
Nicht unbegründet wird Stirner als jemand bezeichnet, der »einen
wirklichen Hammer in der Hand hält.« [8]
Man könnte sagen: Ein schlecht dichtender, aber sehr gut philosophisch
ausschweifender Nietzsche. Philosophische Fragen werden von Stirner weder systematisch
entwickelt noch systematisch expliziert, weshalb viele
Stirner-Kritiker ihm, diesem missliebigen Philosophen, intellektuelle
Unsinnigkeit unterschieben, um ihn mit angeblich wissenschaftlicher
Methode, die aber nichts anderes impliziert als sich in einer grandiosen
Argumentationsnot zu befinden, zu widerlegen. Diese Art von Kritik haben
Marx und Engels und später auch der Marxist Hans G. Helms eindeutig
geliefert. Während Stirner einerseits die (deutsche) Sprache von ihrem christlichen Standpunkt zu befreien versucht, betreibt er andererseits eine vernichtende Sprachkritik. Er intendiert, manche Wörter, beispielsweise Eigenheit, Eigennutz, Eigensinn, Eigenwille, Eigenliebe »wieder zu Ehren« zu bringen. (EE 186) »Die Eigenheit schließt jedes Eigene in sich und bringt wieder zu Ehren, was die christliche Sprache verunehrte.« (EE 188). Dabei macht aber Stirner dem Leser das Problem nicht einfacher. Einige Seiten später entleert er nämlich den Inhalt des Wortes völlig: »Für Mich hat die armselige Sprache kein Wort, und ‚das Wort’, der Logos, ist Mir ein ‚bloßes Wort’« (EE 201). Oft wird der Leser gezwungen, hinter dem Gesagten Wort das Gemeinte zu suchen. Stirner macht einen Unterschied zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten. Schließlich wird das Projekt Max Stirner Stirners unkonventionellen Denk- und Schreibstil kritisch hinterfragen, ohne dabei in eine Vernichtungskritik oder eine Apologie zu verfallen.
Fußnoten
[1] Rahden, Wolfert von: Eduard von Hartmann und Nietzsche. Zur Strategie der verzögerten Konterkritik Hartmanns an Nietzsche, S. 485. In: Nietzsche-Forschung. Band 13., Berlin-New York 1984. Zitiert in: Rüdiger Safranski: Nietzsche. Biographie seines Denkens, S. 124, Hanser Verlag 2000. [2] Safranski, Rüdiger: Nietzsche. Biographie seines Denkens, S. 124, Hanser Verlag 2000. [3] Das Buch erschien im
Oktober 1844 (datiert auf 1845) im Leipziger Verlag Otto Wigand. [4]
Swassjan, Karen: Hommage à Max Stirner. In: Max Stirner. Das unwahre Prinzip unserer Erziehung. Oder
Der Humanismus und Realismus. S. 39, Rudolf Geering Verlag 1997. [5] Sosnitza, Helmut: Erkenntnis und Wahrheit bei Max Stirner. Wissenschaftliche Arbeit im Rahmen der Magisterprüfung. S. 6, Aachen 1989. [6] Sosnitza, a.a.O., S. 6. [7] Hirsch, Rudolf: Karl Marx und Max Stirner. S. 191, Dissertation München 1956. [8] Swassjan, Karen:
Nietzsche – Versuch einer Gottwerdung. S. 176, Verlag
Am Goetheanum 1994.
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