Als Gilgamesch
den Tod seines Freundes Enkidu erlebte, begegnete er zum ersten
Mal dem Nichts. Er schaute ihm ins Gesicht und fiel in den Abgrund
des Seins; einen Abgrund, in dem der Mensch zum Freisein
verurteilt war. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass er in
die Weltkontingenz hineingeworfen worden war. Denn zum
ersten Mal verstand der Mensch, dass er ohne Götter leben muss.
Er verlor die Angst vor den Göttern. Das bedeutete Freiheit, was so viel heißt wie Tragik des Lebens. Aber
auch: Genießen des Augenblicks, Freude am Dasein, an der
Tätigkeit des Körperlichen wie des Geistigen.
Das
ist vielleicht die älteste Geschichte der menschlichen
Zivilisation, die in der Faktizität des Daseins
den an
Selbstbewusstsein gewinnenden Menschen beschreibt. Ihrem
Grundgedanken liegt eine Philosophie der Ichwerdung zugrunde,
welche der im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelten
Existenzphilosophie besonders nahe steht. Die Philosophie des Gilgamesch-Epos hat keine Religion
hervorgebracht, die an einem Ewigkeitsgedanken oder einem anderen
Dogma festhielt; sie hat der Faktizität der
Endlichkeit in die Augen geschaut. Ihre Aktualität ist
unbestreitbar; sie hat eine überzeitliche Bedeutung. Alle menschliche Tätigkeit schöpft aus dieser
Quelle: Der Menschwerdungsgedanke bzw. das Bewusstsein der
Ichwerdung war der Beginn des Denkens und ist der Prozess
allen Werdens. Diese Philosophie umfasst Alles und Nichts,
sie ist das Ergebnis von Gestern
und Heute. Nietzsches Gedanke von der ewigen Wiederkunft des
Gleichen lässt sich aus dieser Perspektive leicht
erklären. An
der Verwirklichung der beiden Grundelemente des Menschen, der
Tragik und des Genusses scheiterte der Mensch. Die Götter
langweilten sich, darum schufen sie die Menschen, stellt
Kierkegaard sehr gelangweilt fest. Es ist anzunehmen, dass
die Menschen sich ebenfalls langweilten, weshalb sie die Götter
schufen. Das
Projekt Max Stirner ist ein Tropfen auf diese Geschichte des Seins. Es ist aber
auch ein Ausgangspunkt, um zu werden. Ein Mittelpunkt, um zu wachsen
und um zu vergehen. Ein
Umherwandern in der Welt der Gedanken verbindet die Tragik und den
Genuss des Lebens miteinander, ohne in die Welt der
toten Gedanken hineinzufallen. Das will heißen: Die Philosophie
ist ein Niemandsland,
denkt Bertrand Russel. Das Leben ist
ein Niemandsland. So gesehen ist die Philosophie tatsächlich weder ein Dogma
noch eine exakte Wissenschaft. Sie ist ein Abenteuer, in dem die
Gedanken zu tanzen beginnen. Aus dieser Perspektive untersucht das
Projekt Max Stirner die Philosophie Stirners mit einer Haltung,
die auf diesem Niemandsland skeptisches Denken zu schätzen weiß. Teilen
Sie uns Ihre Meinung mit, diskutieren Sie mit uns. H. Ibrahim Türkdogan
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